Stiftung Casa Immanuel – erfüllt Beziehung leben.

Die Kraft der Ohnmacht

Und wieder steht Weihnachten vor der Tür – wie immer begleitet von einer ritualisierten (Konsum-)Hektik, welche dieses Jahr jedoch einen spürbaren Dämpfer aufgezwungen erhalten hat aufgrund einer weltweiten Pandemie, die unsentimental kaum etwas von dem zulässt, was für uns Menschen in jeder Advents- und Weihnachtszeit doch so wichtig und gewohnt ist: Ungezwungene Gemeinschaftserlebnisse drinnen oder draussen beim Shoppen, Essen und Trinken, feierliche Begegnungen im erweiterten familiären Rahmen oder auch das kurzfristige Verreisen in wärmere Gefilde, um dort die Neujahrstage am sonnigen Strand zu verbringen. Sogar Bethlehem, die Geburtsstadt von Jesus, ist dieses Jahr praktisch lahmgelegt und menschenleer.

Viele von uns fühlen sich dem Würgegriff einer nicht enden wollenden Diskussion über noch weitere Einschränkungen der persönlichen Freiheiten zur Eindämmung der Ansteckungsrisiken ohnmächtig ausgeliefert. Ganz zu schweigen von den täglich aktualisierten und gebetsmühlenartig publizierten Ansteckungs- und Todesfallzahlen, die nicht weniger belastend sind. Grund genug zu resignieren? Nicht unbedingt.

Ohnmachtsgefühle kennen wir alle – viele nur allzu gut. Sie gehören zu unseren ersten und tiefsten Lebenserfahrungen. Denn jede neue menschliche Seele entsteht aus der Seele seiner Eltern heraus, und sie ist davon geprägt im Guten wie im Schlechten. Aus dieser Prägung heraus fällt eben beispielsweise die aktuelle Pandemie auf bereits erfahrene Ohnmachtssituationen, die uns in der Folge nicht nur körperlich, sondern auch seelisch leiden lassen.

Die Geburt von Jesus an Weihnachten, als Startpunkt der Offenbarwerdung des Reiches Gottes auf dieser Erde (Markus 1, Vers 15) setzt solchen «Ohne-Macht-Erfahrungen» die Kraft des Lebens entgegen. Sie triumphierte an Ostern endgültig, indem der Schöpfer, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist, sich am Kreuz vollständig entmächtigte, um der Ohnmacht ihre scheinbare Macht der Ausweglosigkeit und Verzweiflung zu entreissen.

Oder, um es mit den Worten von Adolf Muschg zu formulieren: «Jacob Burckhardt, einer meiner Privatheiligen, fand, dass Macht per se böse sei. Dieser Tatsache begegnet das Evangelium mit der Kraft der Ohnmacht. Diese Medizin treibt mir die Tränen in die Augen.»[i] Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wir grüssen euch somit alle mit Tränen der Freude in unseren Augen, weil Gott selbst an Weihnachten entschieden hat, den mannigfachen Ohnmachtssituationen dieser Welt entgegenzutreten, sie ein für allemal zu überwinden und uns dadurch mit seiner kraftvollen Lebensperspektive zu segnen – das wertvollste und kostbarste Geschenk aller Zeiten!

[i] NZZ am Sonntag vom 11.5.2014, S. 77.